Dienstag, 25. Oktober 2011

Liebe

Er war eine zickige, verwöhnte schwuchtel, aber eigentlich auch ganz ok. Er rauchte blaue gauloises und erzählte tolle geschichten, bei denen kein wort stimmte. Keiner von uns nahm es ihm übel. Das waren keine lügen, er machte nur das leben schöner. Und das leben war nur schön, wenn man die augen vom rauch zusammen kniff und es sich schön trank und laberte. Dann sahen die sachen ganz anders aus: Der blöde job wurde zu einer sinvollen und kreativen aufgabe, die lahmen affären zu leidenschaftlichen und erinnerungswerten romanzen und spuckenfreier mund beim aufwachen am nachmittag nach zu viel bier und zigaretten gestern, wurde zum geschmack der freiheit. Er war unser gott, er täuschte uns das leben vor.
Liberte toujours. Wie in der werbung, nur besser.
In diesem vorgetäuschten leben habe ich ihn kennen gelernt. Und das alte leben war vorbei. Ich habe ihn direkt am ersten abend mit nach hause genommen, habe ihm tee gekocht und mich in ihn verliebt. Ich habe aufgehört zu rauchen und bis mittag zu schlafen, denn die zeit war mir zu schade. Ich wollte jede minute mit ihm verbringen. Ich hatte kein eigenes leben mehr und deswegen musste ich sein leben leben. Er teilte es gerne. Ich kam mir wie holy golightly vor: ohne katze, aber mit demgleichen charmanten leichten psychischen schaden. Irgendwie romantisch und beschützenswert.
Er verkaufte etwas, ich wusste nicht genau was. Ich verbrachte den ganzen tag zu hause. Las bücher, guckte mir alte filme an und schlief. Als er nach hause kam, kochte er, putzte die wohnung, machte die wäsche und die rechnungen und dann schlief er mit mir. Es gefiel mir nicht sonderlich. Er war zärtlich und ausdauernd, aber fantasielos und zu selbstsicher. Als ich orgasmen vortäuschte, dachte ich an den schwulen märchengott und verspürte lust mir eine blaue gauloises anzustecken.
Ich liebte ihn trotzdem und wollte ein kind von ihm. Es klappte nicht und irgendwann habe ich es aufgegeben. Ich war trotzdem glücklich. Aber irgendwann hat es angefangen: alles nervte ihn. Mein nichtstun, meine filme, sogar der sex. Eines abends kam er nach hause und teilte mir mit, er mich verläße mich. Er hätte eine andere frau kennen gelernt. Er wäre verliebt. Er hat mir großzügig zwei wochen gegeben um auszuziehen, obwohl alle meine sachen in einen koffer rein gepasst hätten. Ich war nicht traurig, ich war wütend. Am nächsten tag als er zur arbeit gefahren ist, bin ich hinterher gefahren. In der mittagspause haben sie sich getroffen. Ich wusste  genau, dass sie es ist. Sie hatte dunkle lange haare. Sie rauchte blaue gauloises. Das hat mich mehr geschockt als seine hand an ihrer taille oder ihr sichtbar gewölbter bauch. In dem moment habe ich mich entschieden, dass ich mein leben nicht so leicht aufgeben werde. Ich werde seins nehmen, denn ich kann sein leben auch ohne ihn leben. Für ihn, für mich.
Es ging ganz leicht und drei wochen später war es soweit. Ich war zufrieden, aber auf der beerdigung habe ich mich trotzdem irgendwie komisch gefühlt, so mulmig. Meine wimpern waren künstlich, aber meine tränen echt. Alle hatten mitleid mit mir und haben mich in meiner trauer und im kleinen schwarzen bewundert.
Am nächsten tag habe ich erfahren, dass ich schwanger bin. Als ich aus der arztpraxis kam, kaufte ich mir eine packung zigaretten und  holte mein handy raus.
“Na, du alte schwuchtel? Ich weiss, ich habe mich schon lange nicht gemeldet, aber ich habe euch nicht vergessen. Und ich habe euch vermisst. Hast du jetzt gleich zeit für einen kaffee? Ich habe viel zu erzählen…“

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